Geothermie – ein riesiges Potenzial und wie wir es nutzen

Wer kennt die Überlegung nicht? Ein sonniger Herbsttag lädt zu einer kleinen sportlichen Betätigung ein. Sollen wir radfahren oder wandern? Wir entscheiden uns für eine kleine Wanderung durch den Wald. Nach 5 Kilometern lockt zur Erfrischung ein frisches kühles Bier (Abbildung 1)! 🙂

Abbildung 1: Das Bier gibt es aber erst nach der Wanderung! Quelle: unsplash.com, https://unsplash.com/@lazyomar

Eine horizontale Entfernung von 5 Kilometern auf der Erdoberfläche ist ja wirklich nicht viel. Die gleiche Entfernung in vertikaler Richtung scheint dagegen viel länger zu sein. In einer Höhe von 5 Kilometern ist es -18° C kalt und man schaut auf den höchsten Berg Europas herab. Der Temperaturunterschied in 5 Kilometern Tiefe ist noch viel größer. Unter normalen Bedingungen ist es dort 150° C heiß, unter besonderen Bedingungen 200° C bis 250° C und darüber (Abbildung 2).

Abbildung 2: Tiefen-Temperatur-Diagramm mit verschiedenen geothermischen Gradienten. Der normale geothermische Gradient von 30° C pro Kilometer ist im Oberrheingraben auf rund 55° C pro Kilometer, in Subduktionszonen auf rund 80° C pro Kilometer und in Lardarello auf rund 180° C erhöht. CC-BY-SA, A. Aretz, geothermal4climate.de

Um sich den Temperaturanstieg mit der Tiefe oder auch den geothermischen Gradienten besser vorstellen zu können, lohnt sich ein Vergleich mit unserer Wandertour. Mit jedem Kilometer unserer Wanderung würde es nämlich 30° C wärmer werden. Würden wir bei 0° C starten, wären wir einen Kilometer weiter bei 30° C schon im Hochsommer angekommen. Bei Kilometer 2 gleichen die Temperaturen von 60° C schon denen der Sahara. Dann hätten wohl spätestens die meisten von uns das Bier abgeschrieben. 😉 Nach drei Kilometern ist es mit 90° C so heiß wie in der Sauna, nach vier mit 120° C wie im Kochtopf und am Ziel nach fünf Kilometern mit 150° C wie im Ofen. Und der Mittelpunkt der Erde befindet sich in einer Tiefe von 6.378 Kilometern! Der Erdkern ist rund 5.000° C heiß (Jeanloz, 1983). 99 % der Erdmasse sind heißer als 1.000° C und nur 0,1 % der Erdmasse sind kühler als 100° C. Die darin gespeicherte Wärmeenergie ist riesig, gigantisch, unvorstellbar groß, unerschöpflich. Die obersten 3 Tiefenkilometer sind da noch die kältesten. Und dennoch:

Allein die in den obersten 3 Kilometern der Erdkruste gespeicherte Erdwärme ist sehr groß. Schätze mal, wie lange würde diese Wärmeenergie ausreichen, um den gesamten Energiebedarf der Menschheit damit sicherzustellen? 100 Jahre, 1000 Jahre, 100.000 Jahre? (Die Antwort steht ganz unten auf dieser Seite)

Wie riesig das Potenzial der Geothermie ist, zeigt dieses schöne Video vom Karlsruher Institut für Technologie:

Der große Vorteil der Geothermie im Vergleich mit anderen erneuerbaren Energien wie Wind oder Solar ist, dass ein Geothermiekraftwerk oder eine geothermische Anlage 24 Stunden am Tag läuft und nicht nur dann, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Für Geothermiekraftwerke gilt daher: Eine Leistung von 1 GW erzeugt pro Tag (1 GW x 24h =) 24 Gigawattstunden (GWh) und pro Jahr (24 GWh x 365 =) 8.760 GWh. Weltweit werden aus Geothermie jährlich 90.000 Gigawattstunden (GWh) Strom plus 85.000 GWh Wärme gewonnen (Klotz et al., 2019). Zum Vergleich – der jährliche Stromverbrauch in Deutschland liegt bei etwa 556.000 GWh, der jährliche Wärmeverbrauch bei 1.465.000 GWh (BMWi, 2019).

Es liegt nicht an einem Mangel an Erdwärmeenergie, warum wir die Geothermie bislang nicht noch viel mehr oder ausschließlich nutzen. Davon ist im Überfluss vorhanden. Es fehlt bislang an einer noch besseren Technologie zu ihrer Gewinnung oder mit anderen Worten: Bislang kommen wir an das ganz große Hitzereservoir noch nicht wirklich ran. Die weltweit tiefste Geothermiebohrung wurde im April 2018 im finnischen Espoo abgeteuft – mit 6.400 Metern Teufe. Es hat überhaupt nur drei tiefere Bohrungen gegeben. Die tiefste Bohrung teuften die Sowjets 1989 auf der russischen Halbinsel Kola ab. Die Kola-Bohrung ist mit 12.262 Metern Teufe natürlich sehr tief – verglichen mit allen anderen Bohrungen der Welt – aber wiederum auch gar nicht tief verglichen mit der Entfernung zum Erdmittelpunkt. Der ist 520 Mal so tief! Und bislang können wir Menschen nur den Teil des Erdinneren geothermisch nutzen, den wir anzubohren überhaupt fähig sind. Dennoch würde auch die Wärmeenergie dieses schmalen, äußeren Teils des Erdinneren, den wir anbohren können, dicke ausreichen, um alle Energieprobleme der Welt heute und in alle Ewigkeiten zu lösen.

Vielleicht können wir irgendwann die Erdwärme in sagen wir mal 4 Kilometern Tiefe einfach so entnehmen. Aber bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als weiterhin von der Oberfläche in die Tiefe zu bohren, und das ist leider immer noch ziemlich teuer. Deshalb gilt auch heute immer noch: Der entscheidende wirtschaftliche Faktor bei der Geothermie zur Stromerzeugung ist die Temperatur im Untergrund, bzw. der geothermische Gradient. Bei einem normalen geothermischen Gradienten von 30° C pro Kilometer Tiefe, wie wir ihn in Deutschland haben, muss man schon über 3 Kilometer tief bohren, um Temperaturen von 100° C zu erreichen, was die Voraussetzung zur geothermischen Stromerzeugung ist. Regionen mit erhöhten geothermischen Gradienten von 60° C, 70° C, 80° C  und mehr pro Kilometer, wie es in vulkanischen aktiven Regionen typisch ist, sind natürlich viel attraktiver für eine geothermische Nutzung (Abbildung 3).

Abbildung 3: Geotherme-Kraftwerk auf Island. Quelle: „Krafla Geothermal Power Station by Glassholic“ is licensed under CC-BY-NC-ND 2.0, https://ccsearch-dev.creativecommons.org/photos/cef8a549-48b7-4b59-9762-4273d5f326c7

So ist es kein Wunder, dass die Geothermie in Ländern, die über aktiven Vulkanismus verfügen, am meisten zur Stromerzeugung genutzt wird (Abbildung 4).

Abbildung 4: Alle zehn Länder, die den meisten geothermischen Strom weltweit erzeugen, nutzen dafür ihre Regionen mit aktivem Vulkanismus. Quelle: verändert nach Lund & Toth, 2020

Die USA versorgen etwa 5,6 Millionen Haushalte mit geothermisch erzeugtem Strom. Island hat den höchsten Geothermie-Anteil an der Stromerzeugung mit etwa 66 %. In Kenia, El Salvador, den Philippinen, Costa Rica, Nicaragua und Neuseeland liegt er immer noch bei 5 bis 15 %. Bei der geothermischen Wärmeerzeugung liegt China mit großem Abstand vorne (Abbildung 5).

Abbildung 5: Die geothermische Wärmeerzeugung ist nicht an das Vorhandensein von Vulkanismus gebunden. Die skandinavischen Länder machen es vor! Bei der geothermischen Wärmeerzeugung hat auch Deutschland noch viel Potenzial. Quelle: verändert nach Lund & Toth, 2020

In Deutschland beträgt der Umsatz der Geothermie-Branche 1,5 Milliarden Euro. Sehr gefragt ist die oberflächennahe Geothermie zur Wärmegewinnung. Mittlerweile produzieren über 400.000 Erdwärmesonden und -kollektoren 4,4 GW Wärmeenergie zu Heiz- und Kühlzwecken (BVG, 2019). Bei knapp 10.000 der im Jahr 2019 genehmigten Neubauten war Geothermie die primäre Energiequelle. Die tiefe Geothermie trägt vor allem in München massiv zur Versorgung vieler Stadtteile mit Strom und Wärme bei. Darüber hinaus wird sie politisch nun massiv gefördert, um die Abwärme der Kohlekraftwerke, die in den nächsten Jahren ja abgeschaltet werden sollen, zu ersetzen.

Wer mittlerweile doch die 5 Kilometer-Wanderung abgeschlossen hat, Bier kann man mit Geothermie auch kühlen. 😀

Quellennachweise:

Klotz, E., Limbers, J., Lübbers, S., Wendring, P. (2019): Analysemärkte weltweiter Energiemärkte. Prognos AG. BMWi, 41 Seiten

BMWi (2019): Energieeffizienz in Zahlen. Entwicklungen und Trends in Deutschland 2019, 84 Seiten

BVG, BWP / BDH-Absatzstatistik Wärmepumpen, Stand 2019

Jeanloz, R. (1983): The Earth’s Core. Scientific American., 249, 3, 56-65

Lund, J.W., Toth, A.N. (2020): Direct Utilization of Geothermal Energy 2020 Worldwide Review. Proceedings World Geothermal Congress, Reykjavik, 26.4 – 02.05.2020

*100.000 Jahre 🙂