Die tiefe Geothermie ist die Nutzung der Erdwärme ab einer Tiefe von 400 Metern. Ab einer Untergrundtemperatur von 100° C kann die gewonnene Erdwärme zur Stromerzeugung genutzt werden.
Wie ein Geothermie-Kraftwerk funktioniert
Zur Nutzung der hydrothermalen Geothermie werden in 2.000 bis 6.000 Metern Tiefe vorhandene wasserführende Schichten mit zwei Bohrungen angebohrt (Abbildung 1). Die wasserführenden Schichten werden aufgrund der hohen Temperaturen von über 100° C auch als Heißwasser-Aquifere bezeichnet.
Eine Förderbohrung pumpt die Tiefenwässer an die Oberfläche in ein Rohrsystem, das zu einem Wärmetauscher führt. Der Wärmetauscher entzieht den Wässern ihre Wärme und überträgt sie auf ein zweites Rohrsystem, dessen Arbeitsmittel bei niedrigen Temperaturen verdampft. Der Dampf wird zu einer Turbine mit angeschlossenem Generator geleitet – und der Strom ins Stromnetz eingespeist. Die dabei entstehende Abwärme kann zum Heizen umliegender Gebäude genutzt werden. Das abgekühlte Arbeitsmittel wird wieder flüssig und fließt erneut zum Wärmetauscher, dessen aufgenommene Wärme es wieder verdampfen lässt und so weiter.
Die Tiefenwässer, die ihre Wärme an den Wärmetauscher abgegeben haben, fließen abgekühlt durch das erste Rohrsystem weiter zur Injektionsbohrung, durch die sie schließlich zurück in die Heißwasser-Aquifere gelangen, und sich wieder aufwärmen. Die Förder- und Injektionsbohrung sollten einen Mindestabstand von einem Kilometer haben, damit bereits abgekühltes Wasser nicht mehrfach gefördert wird.
Bei der hydrothermalen Geothermie ist neben der Untergrundtemperatur die Menge an förderbarem Tiefenwasser der entscheidende wirtschaftliche Faktor. Je mehr Wasser gefördert wird, desto mehr Strom und Wärme kann erzeugt werden. Um eine dauerhafte Stromerzeugung zu gewährleisten, sollten die geförderten Tiefenwässer eine Fließrate von etwa 28 Litern pro Sekunde haben (VDI-Leitfaden, 2013).
Die Regionen in Deutschland mit hohem hydrothermischen Potenzial
In Deutschland gibt es bislang drei Regionen, die zur hydrothermalen Strom- und Wärmegewinnung genutzt werden – das Molassebecken in Südosten, der Oberrheingraben im Südwesten und das Norddeutsche Becken im Norden (Abbildungen 2a, 2b). In diesen Regionen gewinnen 37 Geothermiekraftwerke 37 MW elektrische Energie und 336 MW thermische Energie (geothermie.de).
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Im bayerischen Molassebecken (Abbildung 2b) befindet sich in einigen Tausend Metern Tiefe eine mächtige Gesteinseinheit mit dem Namen Malm, die aus durchlässigem Kalkstein besteht. Die vielen Hohlräume des Malms sind mit heißen Tiefenwässern gefüllt. Werden sie mit einer Förderbohrung gefördert, strömen umliegende heiße Wässer einfach nach. Die Fläche der nutzbaren Aquifere des Malms beträgt in Bayern rund 10.000 km² (Birner et al., 2012). Der Malm ist aktuell die vielversprechendste Gesteinseinheit in Deutschland und der Schweiz zur hydrothermalen Nutzung (Abbildung 3).
Die Stadt München liegt auch genau über diesem riesigen Heißwasserreservoir des Malms. Er ist dort 2.000 Meter (an der nördlichen Stadtgrenze) bis über 3.000 Meter (an der südlichen Stadtgrenze) tief und weist Temperaturen von 80° C bis 100° C auf. München hat sich zum Ziel gesetzt, als erste Millionenstadt seinen Strombedarf bis 2025 zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu decken. Bis 2040 soll München die erste Stadt sein, die Fernwärme zu 100 % aus erneuerbaren Energien gewinnt – auch mit der hydrothermalen Nutzung der Malmwässer.
Zwei Geothermiekraftwerke sind bereits seit Jahren zuverlässige Wärme- und Stromlieferanten. Die Geothermieanlage in der Messestadt Riem, einem Stadtteil mit 16.000 Einwohnern und vielen Bürogebäuden, fördert 93° C heißes Thermalwasser aus etwa 3.000 Metern Tiefe und deckt damit rund 88 % des Wärmebedarfs der Messestadt. Seit Herbst 2016 deckt die Geothermieanlage Freiham (2.500 Meter, 90° C) die Grundlast des Wärmebedarfs von einigen Stadtteilen im Münchener Westen.
20 Kilometer südlich von München, wo der Malm noch tiefer liegt, fördert das Geothermiekraftwerk Sauerlach bis zu 170° C heiße Thermalwässer aus bis zu 5.567 Metern Tiefe und gewinnt Strom für 16.000 Haushalte plus 4 Megawatt thermische Energie. Die benachbarten Kraftwerke Dürnhaar und Kirchstockach gewinnen geothermischen Strom für 32.000 Haushalte.
Im Jahr 2021 soll im Münchener Stadtgebiet ein weiteres großes Geothermie-Kraftwerk über 50 Megawatt thermische Energie gewinnen und damit rund 80.000 Münchener mit Wärme versorgen. Drei weitere Geothermiekraftwerke in München sind in Planung. Dieses Video zeigt die aufwendigen Bauarbeiten im Zeitraffer durch alle Jahreszeiten:
Das Norddeutsche Becken weist sogar eine Fläche nutzbarer Aquifere von 135.000 km² auf (Noack et al., 2010, Abbildung 2a). Diese liegen in großflächigen, mächtigen Sandsteinschichten in 2.000 bis 6.000 Metern Tiefe in Nord-Deutschland. Das erste Geothermiekraftwerk zur Wärmegewinnung in Deutschland wurde 1984 in Waren an der Mecklenburgischen Seenplatte in Betrieb genommen. Es versorgte etwa 400 Haushalte mit Wärme. Weitere Wärmekraftwerke folgten in Neu-Brandenburg und Neustadt-Gleve. Aktuell entsteht eine vielversprechende Tiefengeothermieanlage in Schwerin, die einen Geothermie-Boom in Mecklenburg-Vorpommern auslösen könnte.
Auch der Oberrheingraben, der sich mit einer Breite von 40 Kilometern von Basel nach Frankfurt erstreckt, weist ein hohes tiefengeothermisches Potenzial zur hydrothermalen Nutzung auf (Abbildung 2b). Der Grund liegt in seiner Entstehungsgeschichte. Vor etwa 35 Millionen Jahren stieg unter dem heutigen Oberrheingraben Magma aus dem Erdmantel auf und bildete eine große zusammenhängende Magmablase, einen Pluton, etwa 10 bis 15 Kilometer unter der Erdoberfläche (Pflug, 1982). Dies führte zur Ausdünnung und Dehnung der darüber liegenden Erdkruste, die sich daraufhin langsam absenkte. Der Oberrheingraben entstand und bildete an seinen Rändern tiefe Risse aus. Entlang dieser Risse dringt heute Regen- und Grundwasser kilometertief ab, erwärmt sich und bildet umfangreiche Heißwasser-Aquifere (Stober et al., 2012). In einer Tiefe von 2.000 bis 7.000 Metern wird die Fläche der nutzbaren Aquifere auf 5.000 km² geschätzt. Zudem ist der geothermische Gradient im Oberrheingraben aufgrund des Plutons im Untergrund mit 50° C bis 60° C pro Kilometer deutlich erhöht.
Im pfälzischen Landau werden die Tiefenwässer, die in 3.000 Metern Tiefe 160° C bis 180° C heiß sind, seit 2007 von einem Tiefengeothermiekraftwerk gefördert. Aufgrund des hohen Drucks in der Tiefe steigen die heißen Wässer im Bohrloch bis zu einer Tiefe von 40 Metern auf. Das Kraftwerk versorgt mit einer elektrischen Leistung von 3,8 MW etwa 6.000 Haushalte mit Strom. Im südpfälzischen Insheim versorgt ein Tiefengeothermiekraftwerk mit einer Leistung 4,3 MW etwa 8.000 Haushalte mit Strom. Mit der Restwärme werden weitere 600 bis 800 Haushalte mit Wärme versorgt. Weitere hydrothermale Kraftwerke stehen in Bruchsal und im französischen La Wantzenau.
In Soultz-sous-Forêts – auf der französischen Seite des Oberrheingrabens – steht das einzige petrothermale Kraftwerk in Deutschland bzw. seinem Grenzgebiet. Bei der petrothermalen Geothermie werden vorhandene Risse im heißen Gestein mit einer massiven Wasserinjektion erweitert und so nutzbare Fließwege von Tiefenwässern geschaffen. Nach über 20 Jahren Forschung fördert das petrothermale Kraftwerk seit 2008 Tiefenwässer aus rund 5.000 Metern Tiefe, um 2.400 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Der weitere Ausbau von Geothermiekraftwerken auf der deutschen Seite des Oberrheingrabens ist etwas ins Stocken geraten. Wolfram Münch, der Forschungsleiter der EnBW, dem Betreiber des Kraftwerks in Bruchsal, räumt ein, dass man immer noch sehr wenig darüber wisse, was dort unten so los sei (Neubauer, 2016). Wenn man eine heiße Quelle finde, habe man gewonnen. Dies sei aber nur in fünf Prozent der Fälle so. Der Leiter des Bundesverbands Geothermie, Erwin Knapek, sagt sogar, dass wir den Weltraum besser erforscht hätten als unseren Untergrund.
Exploration – über die Schwierigkeiten des Aufspürens von nutzbaren Tiefenwässern
Und in der Tat, die Suche nach Heißwasser-Aquiferen im Untergrund (Exploration) in Sandsteinen ist eine ganz große Herausforderung! Es ist lange bekannt, dass die Tiefengesteine über eine hohe Porosität (Hohlraumanteil) und Permeabilität (Durchlässigkeit) verfügen sollten. Dennoch, auf kleinstem Raum befinden sich so viele unterschiedliche Gesteine, die gegeneinander versetzt sein können und es laufen so viele unterschiedliche chemische Prozesse im Untergrund ab, dass es sehr schwierig ist, die Fließwege von Thermalwässern in der Tiefe zu bestimmen. Die größten Fließraten von Thermalwässern werden zudem gar nicht in Gesteinen vermutet, sondern entlang von Störungen, an denen zwei Gesteinsblöcke gegeneinander versetzt sind (Rawling et al., 2001).
Die genaueste, aber auch teuerste Explorationsmethode ist die Seismik, wie das folgende Video zeigt (am besten ersetzt man Öl und Gas in diesem Video immer durch Heißwasserreservoire. 😉)
In meiner Promotion beschäftigte ich mich fünf Jahre mit der Frage, ob man die geothermischen Kennwerte von Sandsteinen an der Erdoberfläche in die Tiefe von einigen Kilometern extraplolieren kann. Dafür entnahm ich hunderte Gesteinsproben von Steinbrüchen und untersuchte im Labor unter anderem ihre Porosität und Permeabilität, um herauszufinden, ob man diese Kennwerte von der Erdoberfläche in die Tiefe von einigen Kilometern übertragen kann. Vor allem die chemischen Prozesse im Untergund machen eine solche Übertragbarkeit sehr schwierig. Ich verstand, je mehr man ins Detail schaut, desto mehr Fragen entstehen! Nach jahrelanger Arbeit veröffentlichte ich eine neue Methode (Aretz et al., 2016), aber erkannte auch, dass es viel weiterer Forschung bedarf, um die Prozesse im Untergrund vollends zu verstehen und Thermalwasservorkommen mit vollkommener Sicherheit aufzuspüren.
Eine weitere Explorationsmethode sind Erkundungsbohrungen, die jeweils aber nur einen punktuellen Einblick in die Tiefe geben. An den Bohrlöchern lassen sich physikalische Untersuchungen durchführen und an den Tiefengesteinen der Bohrkerne geothermische Kennwerte bestimmen. Aber ein wenig weiter links oder rechts können die Kennwerte schon wieder anders sein. Anhand mehrerer Erkundungsbohrungen lassen sich zweidimensionale Profilschnitte des Untergrunds ableiten und aus diesen 3D-Modelle, deren Genauigkeit natürlich mit der Anzahl der Bohrungen zunimmt.
Dennoch, all diese Methoden ermöglichen bislang noch keine exakte Ortsbestimmung von Tiefenwässern. So geschieht es leider immer noch, dass auch nach jahrelanger, aufwendiger und kostspieliger Exploration eine kilometertiefe Geothermiebohrung trockenfällt, also nicht auf einen Heißwasser-Aquifer trifft. Dies bedeutet meist das Ende des Geothermie-Projekts.
Das Rheinische Revier und das Ruhrgebiet
Im März 2020 haben im nordrhein-westfälischen Landtag die Fraktionen der CDU, SPD, Grünen und FDP einstimmig einem Antrag für einen massiven Ausbau der Tiefengeothermie in NRW zugestimmt. Wie in München sollen die Thermalwässer des Malmkalks im tiefen nordrhein-westfälischen Untergrund sowie Grubenwässer in Bergbauschächten im Ruhrgebiet genutzt werden, um die Metropolregionen an Rhein und Ruhr mit Wärme zu versorgen, wenn die notwendige Abwärme der Kohlekraftwerke, die bis 2030 abgeschaltet werden sollen, wegfällt.
Quellenverzeichnis:
Aretz, A., Bär, K., Goetz, A., Sass, I. (2016): Outcrop analogue study of Permocarboniferous geothermal sandstone reservoir formations (northern Upper Rhine Graben, Germany): impact of mineral content, depositional environment and diagenesis on petrophysical properties. International Journal of Earth Sciences, 105, 1431-1452
Birner, J., Fritzer, T., Jodocy, M., Savvatis, A., Schneider, M. & Stober, I. (2012): Hydraulische Eigenschaften des Malmaquifers im Süddeutschen Molassebecken und ihre Bedeutung für die geothermische Erschließung. In: Z. geologische Wissenschaften, 40 (2-3), 133-156
Neubauer, L. (2016): Erdwärme im Oberrheingraben: Strom aus der Tiefe. Verifox (https://www.verivox.de/strom/nachrichten/erdwaerme-im-oberrheingraben-strom-aus-der-tiefe-112571/, Stand 30.09.2020)
Noack, V., Cherubini, Y., Scheck-Wenderoth, Lewerenz, B., Höding T., Simon, A., and Moeck, I (2010): Assessment of the presentday thermal field (NE German Basin) – Inferences from 3-D modeling. In: Chemie der Erde, 70, 47-62
Pflug, R. (1982): Bau und Entwicklung des Oberrheingrabens. Erträge der Forschung – Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, ISBN 978-3534071869, 145 Seiten
Rawling, G.C., Goodwin, L.B., Wilson, J.L. (2001): Internal architecture, permeability structure, and hydrologic significance of contrasting fault-zone types. Geology, 29(1), 43-46
Stober, I., Jodocy, M., Hintersberger, B. (2012): Vergleich von Durchlässigkeiten aus unterschiedlichen Verfahren – Am Beispiel des tief liegenden Oberen Muschelkalk-Aquifers im Oberrheingraben und westlichen Molassebecken. Z. geol. Wiss., 40 (1), 1-18
Verband Beratender Ingenieure VBI (2013): VBI-Leitfaden. Schriftenreihe der VBI, Band 21, 108 Seiten